Klassenzimmer unter Segeln: Mit der Schule um die Welt
Ein Gespräch mit Melanie G. zum Klassenzimmer unter Segeln
von Tanita Steckel
Hurra, die Sommerferien kommen! 6 Wochen Sommer, Sonne, Freizeit, Urlaub. Mit der HÄNGematte in den Wald oder ‘ne Woche am See campen? Kein Problem. Aber: Nicht nur in den Ferien kann man als Schüler:in längere Outdoor Abenteuer erleben. Auch das Schuljahr selbst kann man sich mit ein paar Tricks und Kniffen nach draußen verlegen. Und das muss nicht immer das klassische Austauschjahr in Amerika sein. Wie wär’s stattdessen mal mit ‘nem Segeltörn? Meli G. hat das gemacht. Wir wollten von ihr wissen, wie es dazu kam, und was sie so erlebt hat.
Hi Meli! Danke, dass du dir die Zeit genommen hast für dieses Gespräch! Stell dich doch bitte kurz mal vor.
Foto: Privat
Hallo, ich bin die Meli, gehe in die 10. Klasse, bin mittlerweile 16 Jahre alt und komme aus der Nähe von Gießen. Von Oktober bis April war ich beim KUS 20/21 dabei.
Was ist das KUS denn genau?
KUS - Klassenzimmer unter Segeln - ist ein Projekt, bei dem 34 Schüler aus der 10. Klasse die Chance bekommen, für ein halbes Jahr um die Welt zu segeln. Dabei hat man nicht nur Unterricht in fast allen Fächern an Bord, sondern auch Unterricht in der Nautik. Man bekommt schon von Anfang an Verantwortung übergeben, egal ob Segel setzen, anleiten oder kleinere Aufgaben, überall sind wir als Schüler sofort drin. Aber auch, uns die Kulturen anderer Länder näher zu bringen, ist ein Ziel von KUS.
Wie bist du zu dem Projekt gekommen?
Ich war im Sommer das erste Mal für drei Wochen auf der Thor Heyerdahl, dem Dreimaster, auf dem das Projekt stattfindet, und habe mich sozusagen in dieses Leben ein klein wenig verliebt. Dort habe ich auch erfahren, dass man das für ein ganzes halbes Jahr machen kann und war sofort Feuer und Flamme, als es ums Bewerbungsverfahren ging.
Kann da jede:r mitmachen? Und wie läuft die Bewerbung dann ab?
Ja, eigentlich kann jeder aus der 10. Klasse mit dem vorhandenen Interesse teilnehmen. Damit jeder dieses Projekt finanzieren kann, kann man sich auf Stipendien bewerben, die der Verein AlumniKUS ermöglicht. Man bewirbt sich über eine Online Plattform und reicht dort dann erstmal die Bewerbung ein mit einem Motivationsschreiben. Und dann heißt es erst mal warten… bis dann möglicherweise die Zusage zum Probetörn kommt.
Von allen, die sich beworben haben, werden jedes Jahr 50 Schüler zum Probetörn eingeladen. Normalerweise findet der auf der Schlei statt, aber letztes Jahr fand er, wegen Corona, online statt. Dort waren wir dann in Kleingruppen, um uns alle erst mal kennenzulernen. Außerdem waren da paar erfahrene „Beobachter“, die sich schon auskennen mit dem Auswahlverfahren. Während wir uns also kennengelernt haben, wurden wir ein klein wenig beobachtet, damit die „Beobachter“ dann das perfekte Team aus all den Schülern „herstellen“ konnte. Weil das dann ja die Crew ist, die für ein halbes Jahr auf engstem Raum zusammenlebt 🙂. Und bei uns hat die Auswahl sehr gut funktioniert!
Muss man charakterlich irgendwas Besonderes mitbringen? Wem würdest du zu so einem Törn raten?
Man muss natürlich komplett offen sein für Neues, weil am Anfang sehr viel neu ist: das neue zu Hause, die Thor, die neuen Leute und der neue Alltag. Aber wenn man da offen reingeht, gewöhnt man sich sehr, sehr schnell daran. Und Segelkenntnisse brauch man übrigens auch nicht 😉 weil man alles während der Reise lernen kann.
Worauf hast du dich im Vorfeld am meisten gefreut?
Natürlich erst mal darauf, alle Leute wirklich richtig kennenzulernen und dann aufs Segeln. Da vor allem auf die erste Nachtwache UND den Sternenhimmel.
Was war durch Corona vielleicht etwas schwieriger?
Also die ganze Reise musste natürlich umgeplant werden und so gut wie eine neue Route geplant werden. Normalerweise würde man den Atlantik überqueren und die Neue Welt ansegeln, aber aufgrund Corona wollten wir lieber in Europa bleiben bzw. in der Nähe.
Aber da war unsere Projektleitung wirklich sehr offen für neue Inseln und auch sehr, sehr spontan. Die Schiffsleitung hat immer darauf geachtet, dass wir Inseln anlaufen, wo es nur wenige Fälle gibt und vor allem, dass wir keine Risikogebiete anlaufen. Manchmal hat das ein wenig spontane Umplanung erfordert, aber da waren alle an Bord wirklich sehr flexibel.
Wie sah dein Alltag auf dem Schiff aus?
Auf der ersten Etappe (3-4 Wochen) hat man noch keinen Unterricht, da man sich da erst mal mit Nautik beschäftigt, mit der Funktionsweise des Segelschiffes und wie alles auf dem Schiff so abläuft. Ab der 2. Etappe hat man jeden 2. Tag Unterricht. Die Wache teilt sich da sozusagen, und während der eine Teil sich darum kümmert, dass das Schiff weiterfährt, hat der andere Unterricht.
Und wie läuft so eine Wache ab?
Es gibt 4 Wachen, die immer 3 Stunden am Tag Wache gehen und 3 Stunden in der Nacht. Für eine Etappe ist man immer einer Wache zugeteilt. Ich beschreibe hier mal den Ablauf von Wache 3, die die Zeit von 5-8 und von 17-20 Uhr hat.
Mein Tag beginnt mit einem lieben Wecken um 04:30 von einer Person der vorherigen Wache. Nach bisschen Überwindung stehe ich dann auf und ziehe mich warm an. Meistens gucke ich noch nach meinen Leuten aus der Wache, ob auch alle wach sind, und begebe mich mit meinem Ölzeug an Deck, wo noch alles dunkel ist. Und da sehe ich auch schon meine Wache und die vorherige Wache. Nachdem uns die Wache übergeben wurde, haben wir immer eine(n) Schüler:in zum „Wachprinz:essin“ gekürt, der/die für die Organisation der Wache zuständig war. Denn in den 3 Stunden, in denen man das Schiff sozusagen steuert, müssen mehrere Aufgaben erledigt werden. Einer muss natürlich ans Ruder, um nach Kurs zu steuern. 2 andere Personen begeben sich für eine halbe Stunde in den Ausguck, um nach Schiffen Ausschau zu halten, die uns möglicherweise näher kommen oder vielleicht auch nach Fischerbojen, wo man reinfahren könnte. Stündlich tragen wir auch immer das Wetter, die Position und den Kurs, den wir gerade fahren, ins Brückenbuch ein. Eine Sicherheitsrunde, wo man durchs Schiff geht, um zu gucken, ob alles in Ordnung ist, macht man jede halbe Stunde. Und bei all diesen Aufgaben sieht man langsam, wie alles Stück für Stück heller wird und die Sonne am Horizont auftaucht.
Sonnenaufgang heißt gleichzeitig, dass der Tag für die meisten anderen beginnt. Um 07:00 darf Wache 3 dann auch schon die nächste Wache wecken, damit diese sich zum Frühstück begeben kann. Und um 08:00 ist die Wachübergabe - in hellem Zustand dieses Mal. Mit unserer Wache geht es dann in die Messe (unser Gemeinschaftsraum) zum Frühstück. Dort machen wir auch gleich eine Zeit fürs sogenannte „Reinschiff“ aus. Reinschiff ist ein kleiner Tagespunkt, wo wir als Wache eine Stunde verschiedene Stationen putzen. Nach dem Frühstück geht es für die meisten noch mal kurz ins Bett, um sich noch ein bisschen auszuruhen. Und um 11 Uhr heißt es dann PUTZEN.
Um 12 Uhr hört man auf hoher See als erstes immer die Schiffsglocke und dann das Typhon [Nebel- bzw. Signalhorn, Anm. d. Red.] und dann, wenn die Backschaft pünktlich ist, die Essensglocke. Nach dem leckeren Mittagessen hat man bis zur nächsten Wache Freizeit 🙂 Bei gutem Wetter sitzen immer viele draußen an Deck, spielen was oder lesen. Manchmal hilft man auch in der Backschaft oder redet einfach.
Und dann hat Wache 3 wieder von 17-20 Uhr Dienst. Nachdem wieder ein:e „Wachprinz:essin“ ausgesucht wurde, werden alle Aufgaben verteilt und jeder hat was zu tun. In mehreren Wachen gibt es auch bisschen Segelaction. Wenn wir den Kurs ändern, müssen wir unsere Segel natürlich anpassen, also das Segel dichter holen, weiter nach draußen bringen oder auf die andere Seite bringen. Je nachdem wie der Wind weht, müssen wir weitere Segel setzen oder bergen und das wird auch alles nicht mehr von dem erwachsenem Wachführer angeleitet, sondern von unserem Wachprinzen, weil wir das über die Zeit alle selber gelernt haben.
Um 18 Uhr gibt es dann Abendessen. Bei gutem Wetter isst die Wache draußen und genießt den Sonnenuntergang. Wenn das Wetter nicht so gut ist, gehen immer 2-4 Leute runter, um zu essen und dann wechseln die nächsten aus. Und so vergeht eine Wache auch schon wie im Nu. Wieder unter Deck haben wir wieder Freizeit, manche werkeln an der Werkbank, bauen Buddelschiffe oder schnitzen etwas. Sonst sieht man viele abends noch in der Messe sitzen, ihren Kakao trinkend am Tagebuch schreiben. Dann begibt man sich auch schon in die Kammer und spricht ein wenig mit seinen Mitbewohnern (sofern sie keine Wache haben) und fällt so in den Schlaf 🙂
Was ist deine liebste Erinnerung, die du mitnimmst?
Natürlich alle Momente mit den Leuten und die Freundschaften, die auf dieser Reise entstanden sind. Was mir außerdem noch im Kopf bleiben wird, sind die Schiffsübergaben. Nach mehreren Wochen kannten wir uns langsam ziemlich gut aus an Bord und dann kam es auch schon zu den Schiffsübergaben. Die gingen am Anfang nur einen Tag, steigerten sich dann aber auf 5 Tage. Wir hatten insgesamt 3 davon.
Es gibt mehrere Ämter, die eigentlich von Erwachsenen ausgeführt werden. Beispielsweise die Projektleitung, die für die ganze Tagesplanung zuständig ist; der Bootsmann, der für alle Aufgaben zuständig ist, die das Schiff instand halten sollen, egal ob Segel nähen oder Leder fetten; der Kapitän und die Steuerleute, die den Kurs berechnen und entscheiden, wo wir genau hinfahren.
Zu den Schiffsübergaben mussten wir also Bewerbungen schreiben und die wurden dann von den Stammcrew Leuten ausgewertet, diskutiert und entschieden, wer welchen Posten kriegt. Mein Highlight war die 2. Schiffsübergabe, wo ich das Amt der Steuerfrau annahm. Der Schwerpunkt bei dieser Schiffsübergabe lag in der astronomischen Navigation, alle GPS-Geräte wurden also zugeklebt, sodass wir nur mit einem Sextanten und Berechnungen vermuten konnten, wo wir genau sind. Das war wirklich eine spannende Sache! Außerdem hat man da wirklich gemerkt, wie viel man in diesem Posten zu tun hat und wie viel Verantwortung auf einem lastet. Die erwachsenen Steuerleute und der Kapitän waren natürlich immer dabei, dass falls was passiert, sie einschreiten konnten. Aber auch sie haben nicht aufs GPS geguckt, um zu gucken, wo wir genau sind.
Welcher Landgang hat dich am meisten beeindruckt?
Jede Insel hatte irgendwie was Anderes und Beeindruckendes, vor allem die Vielfalt. Ich glaube, mein beeindruckendster Landgang war auf Fogo, eine Insel der Kap Verden. Das ist ein noch aktiver Vulkan. Als wir den Fogo bestiegen haben, hat man förmlich die Wärme gespürt und auch der Schwefelgeruch ist einem aufgefallen. Es war so spannend und beeindruckend, die ganze Asche und die erstarrte Lava zu sehen. Der Vulkan ist 2013 das letzte Mal ausgebrochen. Was ich am coolsten fand, war der Abstieg. Da durften wir nämlich eine Aschepiste runtersprinten, die Bewohner dort haben es „runtersurfen“ genannt. Und für die Strecke, für die wir beim Aufstieg um die 5 Stunden gebraucht haben, haben wir nur um die 10 Minuten beim Abstieg gebraucht. Es war schon ziemlich lustig, wie alle runtergestürmt sind und dann fast komplett schwarz von der Asche waren.
Auf Fogo haben wir außerdem noch von einem Einheimischen erzählt bekommen, wie es war, als der Vulkan das letzte Mal ausgebrochen ist. Das war auf jeden Fall spannend und sehr, sehr beeindruckend, wie gelassen die Leute damit umgegangen sind.
Sao Jorge, eine Insel der Azoren, war auch ein Aufenthalt, den ich nicht so schnell vergessen werde! Wir waren in Kleingruppen unterwegs und durften unsere eigene „Expedition“ planen. Also sind wir mit Zelten, ausreichend Proviant, Schlafsack und Wanderrucksack losgezogen mit dem Ziel, die Insel zu erkunden. Da man auf den Azoren nicht wildcampen darf, haben wir immer Leute gefragt, ob wir auf ihren Weiden schlafen dürfen. Wir sind auch sehr viel gewandert, um möglichst viel von den weiten Weiden der Azoren zu sehen. Weit und breit war nur grün zu sehen und Kühe, die fast überall gegrast haben.
Wir sind vielen Pick-ups von Bauern begegnet, mit einer großen Ladefläche und sind dann auch auf die Idee gekommen, sie zu fragen, ob sie uns möglicherweise mitnehmen könnten. Und meistens war die Antwort ja 🙂 Es war so schön wie hilfsbereit alle waren, uns ihre Weiden zum Übernachten angeboten, zu Campingplätzen gefahren oder sogar bei sich übernachten lassen haben. Am vorletzten Tag haben wir einen holländischen Künstler kennengelernt, der uns am Anfang erst sein Atelier gezeigt hat, uns seine Geschichte erzählt hat und uns dann sogar bei ihm allein im Atelier übernachten lassen hat. Die Bilder, die er dort veröffentlicht hat und das Vertrauen, das er uns gegenüber hatte, werde ich, glaube ich, nie vergessen.
Und jetzt, wo KUS vorbei ist: Welche Outdoor Abenteuer planst du als nächstes?
Ich möchte viel, viel mehr draußen machen. Vielleicht auch einfach mal losziehen mit Schlafsack und Hängematte und gucken, wo ich rauskomme. Und vor allem Orte und Städte besuchen, wo ich noch nie war. Und wenn der ganze Corona Wahn aufgehört hat, ist einer meiner Träume Inseln und Länder zu besuchen, wo man sonst nicht so hinkommen würde, weil es einfach viel, viel spannender ist, so was zu entdecken als irgendwelche Sightseeing-Touren für Touristen 😁
Meli, wir danken dir nochmals für das interessante Gespräch und wünschen dir viel Spaß bei deinen nächsten Abenteuern! 😊