Frühling im Wald: Rücksichtsvoll die Natur genießen
Ein Gespräch mit Eva Lindenschmidt von TIERART
von Tanita Steckel
Der Frühling ist da, das schlechte Wetter verzieht sich langsam und wir haben Bock, draußen zu sein. Was gibt’s Schöneres, als im Wald die Hängematte aufzuspannen, loszuschwingen und dem Alltag mal ein bisschen zu entkommen?
Gerade im Frühling ist im Wald aber sowieso schon viel los. Denn: Nicht nur uns Menschen zieht’s wieder raus in die Natur. Die Natur selbst erwacht auch sprichwörtlich wieder zum Leben. Bäume treiben aus, Blumen blühen und Tiere bekommen Nachwuchs. Und klar, da wollen wir auch nicht stören. Nur, wie stört man möglichst wenig? Darüber haben wir mit Eva Lindenschmidt vom Projekt TIERART gesprochen.
Frau Lindenschmidt, stellen Sie sich und das Projekt unseren Leser:innen doch mal etwas vor.
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Mein Name ist Eva Lindenschmidt, ich bin 38 Jahre alt und Diplom-Biologin. Ich arbeite seit 2013 bei TIERART und bin mittlerweile stellvertretende Betriebsleiterin. Da ich direkt hier aus der Region komme, war es ein absoluter Glücksfall, direkt vor der Haustür meinen absoluten Traumjob zu finden.
Die Wildtierstation TIERART kümmert sich jedes Jahr um hunderte verletzte oder verwaiste heimische Wildtiere, die nach erfolgreicher Aufzucht oder medizinischer Versorgung wieder ausgewildert werden. Tiere, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr ausgewildert werden können oder dürfen, werden auf unserer 14 Hektar großen Station in der Südwestpfalz in artgerechten Gehegen dauerhaft gepflegt.
Foto: Privat
Der Verein TIERART e.V. wurde 1999 gegründet und kooperiert seit 2013 mit der Tierschutzstiftung VIER PFOTEN, mit deren Unterstützung 2015 eine mehr als 3000m² große Anlage für beschlagnahmte Großkatzen aus illegaler Privathaltung oder Zirkussen eröffnet werden konnte. Derzeit leben vier Tiger, ein Puma und ein afrikanischer Serval dauerhaft bei TIERART. Außerdem werden mehr als 90 heimische Wild- und sogenannte Nutztiere permanent hier betreut, also Füchse und Waschbären, aber auch mehr als 30 Schafe aus schlechter Haltung.
Gibt etwas am Tierschutz, für das Sie besonders brennen?
Die Arbeit im Tierschutz ist sehr abwechslungsreich und erfüllend. Man wird zwar mit vielen traurigen Schicksalen konfrontiert und kann auch leider nicht immer helfen, was zum Teil auch belastend ist. Aber es ist ein unbeschreibliches Gefühl, Tiere in Not zu retten und sich für diejenigen einzusetzen, die sich nicht selbst helfen können. Ganz egal, ob man eine Wildkatze, einen Fuchs oder ein Eichhörnchen nach erfolgreicher Aufzucht zurück in die Freiheit entlassen darf oder einen ehemaligen Zirkustiger vor der Einschläferung bewahren und ihm ein artgerechtes Zuhause auf Lebenszeit bieten zu können – der Lohn unserer Arbeit sind genau diese Momente.
Mein absolutes Highlight war der Augenblick, als die ehemalige bulgarische Zirkustigerin Varvara nach 12 Jahren in einem winzigen vergitterten Zirkuswagen von 10m² bei uns zum ersten Mal ihr neues Freigehege betreten und Gras unter den Pfoten spüren durfte.
Foto: © TIERART
Jetzt im Frühling ist sicher viel zu tun: Unsere heimischen Wildtiere bekommen schließlich alle Junge. Wann genau geht das eigentlich los?
Die Brut- und Setzzeit beginnt je nach Witterung teilweise schon im Februar. Die ersten Eichhörnchen, Feldhasen und Füchse können bereits sehr früh im Jahr geboren werden. Die meisten jungen Wildtiere kommen jedoch ab März/April zur Welt. Dazu zählen unter anderem Wildkatzen und Marder. Die ersten Rehkitze oder jungen Waschbären sieht man häufig ab Ende April/Anfang Mai.
Fotos: Henri Schuh
Wo sollte ich meine Hängematte momentan nicht aufhängen? Gibt es bestimmte Stellen, die die Tiere bevorzugen um ihre Jungen zur Welt zu bringen?
Für die Geburt der Jungtiere suchen sich Wildtiere vorwiegend geschützte Bereiche, um in dieser kritischen und schutzlosen Situation möglichst keine Aufmerksamkeit von Beutegreifern auf sich zu lenken. Während Nesthocker Wildkaninchen, Füchse oder Dachse ihre Jungen in unterirdischen Bauen zur Welt bringen und in der ersten Zeit dort versorgen, werden Nestflüchter wie Rehe oder Feldhasen gewissermaßen schutzlos geboren und z.B. im hohen Gras abgelegt, wo sie regungslos verharren. Durch ihren fehlenden Eigengeruch sind sie davor geschützt, von Fressfeinden aufgespürt zu werden. Die Mütter kommen alle paar Stunden kurz zum Säugen zurück und entfernen sich dann wieder, um keine Aufmerksamkeit auf das Jungtier zu lenken.
Was sollte ich als Waldbesucher:in beachten, um den Tieren dabei nicht in die Quere zu kommen?
Insbesondere dämmerungs- und nachtaktive Tiere ziehen sich tagsüber gerne ins Dickicht zurück und könnten durch das Eindringen von Menschen aufgeschreckt werden. Vor allem im Frühling sollten Spaziergänger die Waldwege deshalb nicht verlassen, um den Tieren ihre Rückzugs- und Ruhebereiche zu lassen. Gerade zur Jungtierzeit können Störungen weitreichende Folgen haben. Hunde sollten unbedingt, zumindest während der Frühjahrs- und Sommermonate, angeleint bleiben. Jedes Jahr kommt es vielfach zu Verletzungen junger Wildtiere durch freilaufende Hunde, die leicht vermieden werden könnten. Damit nachtaktive Waldbewohner ungestört auf Nahrungssuche oder Beutejagd auf Wiesen und Feldern gehen können, sollten sich Spaziergänger außerdem grundsätzlich nach Einbruch der Abenddämmerung nicht mehr im Wald aufhalten.
Okay, aber wenn ich das alles mache und trotzdem plötzlich eine Wildschweinmama vor mir steht: Wie verhalte ich mich richtig?
Wildtiere haben eine natürliche Scheu vor dem Menschen und meiden den Kontakt, sodass direkte Begegnungen mit ihnen eher selten vorkommen. Sie wittern uns schon lange bevor wir sie wahrnehmen und ziehen sich unmittelbar in geschützte Bereiche zurück. Sie sind generell Menschen gegenüber nicht aggressiv. In bestimmten Situationen kann dennoch Vorsicht geboten sein, etwa bei der Begegnung mit Wildschweinen. Sie sind in unseren Wäldern und mittlerweile auch in Städten und Siedlungen sehr weit verbreitet und häufig sowohl am Tag als auch in der Nacht aktiv. Mit Hilfe ihres exzellent ausgeprägten Geruchssinns bemerken sie sich nähernde Menschen schon aus weiter Entfernung und laufen davon. Wildschweine sind friedfertige Tiere, jedoch können führende Bachen – also weibliche Tiere mit Frischlingen - aggressiv reagieren, wenn sie Gefahr für ihren Nachwuchs fürchten.Foto: Jonathan Kemper via Unsplash
Bei Begegnungen mit Wildschweinen ist es allgemein ratsam, nicht in Panik zu verfallen oder gar davon zu laufen, sondern Ruhe zu bewahren und sich ohne Hektik aus ihrem Umfeld zu entfernen. Bachen mit Nachwuchs sollte man sich auf gar keinen Fall nähern oder sich gar zwischen Mutter und Frischlinge stellen, um keinen Angriff zu provozieren. Beim Pilze suchen im Dickicht oder Durchwandern von Maisfeldern kann es passieren, dass man unverhofft direkt auf eine solche Familie trifft, und bedroht oder in seltenen Fällen gar angegriffen wird. Zur eigenen Sicherheit und auch aus Rücksicht auf die Ruhebereiche von Wildschwein und Co. sollten Waldwege und Wanderrouten daher nicht verlassen werden.
Und was tue ich, wenn ich ein vermeintlich verlassenes Tierkind im Wald finde?
Wer Wildtiere mit ihrem Nachwuchs sichtet, sollte sich umgehend leise und zügig entfernen. Das gilt auch, wenn Jungtiere ohne ihre Mutter aufgefunden werden. Beispielsweise Feldhasen oder Rehe lassen ihre Jungen oft viele Stunden am Tag allein zurück. Sie kehren in regelmäßigen Abständen zum Säugen zurück, entfernen sich aber dann rasch wieder, um auf Nahrungssuche zu gehen und keine Aufmerksamkeit möglicher Fressfeinde auf das Jungtier zu lenken. Die Kleinen verharren in der Zwischenzeit regungslos im Gras und laufen auch meist nicht davon, wenn ein Mensch sich nähert. Das ist vollkommen normal und kein Grund, diese Tiere aufzusammeln oder anzufassen. Hier gilt: zügig entfernen, um jeglichen Stress für das Tier zu vermeiden oder gar die in der Nähe befindliche Mutter zu verjagen.
Foto: Eva Lindenschmidt
Wie helfen Wildtierstationen wie TIERART in solchen Situationen?
Bei TIERART kümmern wir uns um Tiere, die in den meisten Fällen durch Fehlverhalten von Menschen in eine Notsituation geraten sind. Die spektakulärsten Beispiele sind sicherlich exotische Tiere wie die Tiger, die VIER PFOTEN aus illegaler Privathaltung oder katastrophaler Haltung rettet und zu uns bringt. Aber auch heimische Tiere geraten schnell in Lebensgefahr, wenn z.B. Igel im Garten durch Mähroboter verletzt oder Fuchswelpen hilflos neben ihrer überfahrenen Mutter gefunden werden. Die meisten Tiere landen aber jedes Jahr völlig grundlos und aufgrund falsch verstandener Tierliebe bzw. Unwissenheit der Menschen bei uns. Gerade junge Feldhasen oder Rehkitze werden meist ohne zu zögern eingesammelt, wenn die Mutter nicht in unmittelbarer Nähe gesichtet werden kann. Dabei ist das vollkommen normal. Wir würden uns wünschen, dass beim Auffinden von jungen Wildtieren zunächst fachkundiger Rat eingeholt wird, wenn man sich in der Situation unsicher fühlt und nicht weiß, was zu tun ist.
Unabhängig von der Jahreszeit: Wie verhalte ich mich als Gast im Wald so, dass nicht nur ich eine tolle Zeit dort habe, sondern es auch für Waldtiere möglichst stressfrei ist?
Wer Erholung draußen in der Natur sucht sollte darauf bedacht sein, unsere heimischen Wildtiere in ihrem Lebensraum nicht zu stören oder zu gefährden und entsprechend Rücksicht auf deren Ruhe- und Rückzugsgebiete zu nehmen. Hunde sollten – zumindest während der Jungtierzeit – angeleint und Wege nicht verlassen werden.
Auch sollte es selbstverständlich sein, keinen Müll im Wald zurückzulassen. Weggeworfene Dosen oder Plastiktüten verschmutzen nicht nur unsere Umwelt, sie können auch zur Gefahr für Tiere werden, die sich darin verfangen oder daran verletzen. Glasflaschen oder weggeworfene Zigaretten können unter Umständen im Sommer sogar Waldbrände auslösen.
Die Begegnung mit einem Wildtier, das man aus sicherer Entfernung in seinem natürlichen Umfeld beobachten darf, kann bei einem Ausflug in die Natur ein ganz besonderes Highlight und außergewöhnliches Erlebnis sein. Man sollte jedoch stets darauf bedacht sein, Abstand zu halten, die Tiere nicht aufzuschrecken oder zu stören.
Welche heimischen Tiere sind Ihrer Meinung nach im öffentlichen Bild am missverstandensten?
Der Rotfuchs. Er wird als Hühnerdieb und Krankheitsüberträger abgestempelt und stark bejagt. 2020 wurden in Deutschland mehr als 454.000 Füchse geschossen. Noch immer wird der Fuchs direkt mit dem Thema Tollwut in Verbindung gebracht. Vor allem dann, wenn man z.B. am Stadtrand oder im Dorf einem Fuchs begegnet, der nicht sofort panisch das Weite sucht, sondern neugierig an Mülltonnen oder Komposthaufen auf Nahrungssuche ist. Deutschland gilt seit 2008 als tollwutfrei und Füchse sind nun mal kluge Tiere. Leicht zugängliche Nahrungsquellen in Siedlungen und Gärten, in denen keiner Jagd auf sie macht, nutzen sie natürlich gerne und verlieren hier auch rasch ihre natürliche Scheu. Füchse sind hochinteressante, wunderschöne Tiere mit einem spannenden Sozial- und Familienleben.
Außerdem spielen sie eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem als „Gesundheitspolizei“ des Waldes. Sie ernähren sich bis zu 90% von Mäusen, die Krankheiten übertragen oder Ernteschäden anrichten können, fressen Aas oder entnehmen dem Bestand schwache und kranke Individuen (z.B. kranke Hasen und Rehe).
Wieso finden wir eigentlich typische Waldtiere wie Füchse zunehmend in den Städten? Bei uns Menschen scheint der Trend ja eher umgekehrt - zur Stadtflucht aufs Land hin zu gehen.
Füchse sind Kulturfolger. Genau wie andere Wildtiere halten auch sie sich immer häufiger in menschlicher Nähe auf. Überall wo der Mensch dem Fuchs etwas Fressbares anbietet – ob absichtlich oder unabsichtlich – findet er leicht verfügbare Nahrung. Frei zugängliches Katzenfutter, das auf der Terrasse steht, Komposthaufen, gelbe Säcke oder ähnliches – all das lockt ihn natürlich an. Teilweise werden Füchse auch von Anwohnern gezielt angefüttert – ist es doch schön, so ein Wildtier aus nächster Nähe im Garten beobachten zu können!
Foto: Panagiotis Retoulas
Allerdings ist davon dem Tier zuliebe dringend abzuraten. Füchse merken schnell, dass ihnen in der Nähe des Menschen keine Gefahr droht und in Siedlungen keiner Jagd auf sie macht. Sie verlieren zunehmend ihre natürliche Scheu. Das wiederum führt häufig dazu, dass die Vermutung aufkommt, mit dem Fuchs „stimme etwas nicht“. Schnell beschleicht die Anwohner die Angst vor Angriffen, Tollwut, Fuchsbandwurm oder sonstigen Krankheiten. Letzten Endes werden Stimmen laut, der „auffällige“ Fuchs im Ort stelle ein Risiko für Mensch und Haustiere dar und müsse weggefangen oder gar erschossen werden…
Probleme dieser Art lassen sich vermeiden, indem man den Tieren keine besonderen Anreize dafür bietet, sich in menschlicher Nähe aufzuhalten. Das Anfüttern sollte grundsätzlich unterlassen werden. Und sollte man tatsächlich mal einem gesunden, neugierigen Fuchs auf der Straße begegnen, ist das – gerade in ländlichen Gegenden in Waldnähe – kein Grund zur Sorge.
Frau Lindenschmidt, wir danken Ihnen vielmals für das aufschlussreiche Gespräch und wünschen Ihnen und TIERART weiterhin alles Gute für Ihre wichtige Arbeit!
Damit du die Tipps von Eva Lindenschmidt bis zu deinem nächsten Outdoor Abenteuer mit HÄNG nicht vergisst, haben wir eine praktische Checklist für dich zusammengestellt. Einfach aufs Handy abspeichern und ab dafür!